Zum Hauptinhalt springen

Unfortunately – this is not an option

Fastnet Rock to Port…

Störtebeker auf dem Weg zum Rock

The Rock

VHF-Funkruf, Mittwoch, 11. August am frühen Vormittag von einer in der Nacht zügig aufgekommenen Class 40 bei 13 kn Fahrt:

„Störtebeker, Störtebeker, Störtebeker, this is Black Mamba…. We are sailing on your port side in collision course – could you please go down with your speed?“

„This ist Störtebeker, Black Mamba we affirm your request – but unfortunately this is not an option.“

„This is Black Mamba, we are participating in Rolex Fastnet Race and as Sailing Yacht we kindly ask for right of way.“

„This is Störtebeker – don´t mind, but unfortunately us too!!“

„….. (silence) ...ups, we thought, you are a tanker.“

Es folgt großes Gelächter und der gegenseitige Wunsch für ein weiteres erfolgreiches Rennen. Am nächsten Wegepunkt lag die Class 40 eineinhalb Meilen hinter uns.

 

„Fastnet Rock to Port“ ist nicht nur das Passwort des WiFi-Netzes im Race Village. Es ist der Zugangscode zu kraftzehrenden Meilen, hochmotiviertem Wettkampfgeist und schier zum Platzen angespannter Nerven im Fight um die Minuten.

25-30 Knoten am Start, knapp 400 Schiffe und dazwischen jede Menge Zuschauerboote. Die See kocht, Kopf und Körper haben mindestens dieselbe Temperatur. Abfallen, Anluven, Abfallen, klar zur Wende... das Schloss vom zweiten Reff will nicht einrasten, Großsegel nochmal runter…. Arne springt auf die Schultern von Marvin, sie versuchen den Stand zu halten, während das Schiff in die Wellen schlägt und es kracht, als wollte das Rick zerbersten. Fehler behoben, Groß wieder hoch. Schon die Minuten vor dem Start lassen erkennen, die erste Kreuz wird ein schweißtreibender Auftakt zu unserem Rennen.

 

Die Schiffe formieren sich parallel vor der Startlinie. Drei, zwei, eins…. Schuß. Alles auf die Kante. Es ist ein Höllenlärm aus Wasser, Grindergeräuschen und Rufen durch Wind und Wetter, die kaum gehört werden. Schon in den ersten Meilen wird klar, zwischen all den Proficrews wird uns alles abverlangt. Gut für die Stimmung, wir halten uns gut und können mithalten. Neben uns Volvo 70, Farr 60, Open 50th…. Ganz zu schweigen von Rambler, Varuna und Co.

Sind wir überhaupt im richtigen Film? Es ist kaum zu glauben. Verrechnet und von der Länge gehören wir zu den „langsameren Schiffen“ und dürfen auf Verrechnungen hoffen. Segeln auf gleicher Bug- und Augenhöhe? Wohl eher ein Traum.

Die Störtebeker scheint nicht wirklich für die Kreuz gebaut, doch sie kämpft sich tapfer ihren Weg. Den Solent – das erste Zwischenergebnis – wir können mithalten, ja liegen gesegelt sogar gut im Mittelfeld. Was für eine Motivation.

 

Mit jeder Wende kommt etwas mehr Ruhe und mit jeder Welle ein Wasserschwall ins Schiff. Schon jetzt ist klar, eine Tropfsteinhöhle.

Wir stellen auf das Wachsystem um. 2 Stunden on zum Trimmen und Taktieren, 2 Stunden standby für Manöver und Motivation, 2 Stunden off zum Schlafen, oder das, was man dafür hält. Stündlich werden eimerweise Wasser aus dem Schiff gepützt, es ist kaum möglich, in der Schiffsbewegung einen sicheren Stand unter Deck zu finden – wobei jeder, der die Störtebeker kennt, weiß, dass von Stand unter Deck sowieso nicht die Rede sein kann. Alles ist nass – nein patsch-nass, die Freiwache schläft im triefenden Ölzeug, Schlafsäcke werden zu Wassersäcken, egal. Am Ende nur ein Zustand, an den man sich auch gewöhnen kann.

Zwischendrin Heißwasser kochen, und Freeze Dried aus der Tüte, Kalorien und Proteine für den Energiehaushalt. Jeder der sich jetzt fragt, wie das wohl gehen soll, kann sich ja schonmal Gedanken darüber machen, wie man das Zeug wieder los wird bei dieser Odyssee.

 

Marvin, unser Navigator wird zur Maschine. An Schlaf bei ihm nicht zu denken – kurz zur Erklärung für alle, die unter „wachfrei segeln“ eine TUI-Urlaub vermutet haben. Er bringt uns großartig über den Parkour. An der englischen Küste gehen wir dicht unter Land und nehmen jede Strömung mit. Point Lizzard, Lands End, dann endlich drehen wir ein Stück nach Steuerbord…. und der Wind dreht mit. Also weiter Kreuzen – wird wohl nichts mit dem Anlieger.

Im Stampfen der Welle bricht ein Fall. Bei dem Ruck, der mit jeder Welle durch das Schiff geht, mit dem das Rigg jedesmal das Schiff zum Vibrieren bringt, ein harmloses Malheur. Alles andere bleibt robust. Segel runter, eine der vorbereiteten Sorgleinen für das Einziehen eines neuen Falls genutzt, Segel hoch, das ganze hat vielleicht 10 Minuten gedauert, wenn überhaupt. Die Mannschaft läuft zur Höchstform auf.

Wir erreichen „the Rock“ bei Tageslicht. Es ist diesig und es nieselt, irisches Wetter aus dem Bilderbuch. Immerhin hat der starke Regen aufgehört. Katrina steuert uns zum Greifen nah am Felsen vorbei. Ein paar Möwen und ein Boot mit einem Photographen geben sich die Ehre. Wir liegen gut, bei uns ein Volvo 60 aus den Niederlanden, mit dem wir uns schon seit dem Start Kopf an Kopf battlen. Noch um ein VTG herum und dann der ersehnte Schrick in den Schoten.

Mit dem Reach geht neben der Genoa das Staysail hoch. Für den Code Zero ist noch zu viel und zu spitzer Wind. Trotzdem geht die Geschwindigkeit hoch auf 12 bis 15 Knoten Fahrt.

Und dann, wir können es kaum glauben, Rückseitenwetter. Der Himmel reißt auf, die Sonne kommt heraus, wärmt... und sie trocknet. Was für ein schönes Gefühl. Es ist unglaublich, wie schnell die Strapazen der ersten Hälfte in Vergessenheit geraten. Die Stimmung steigt mit jedem Surf, 16, 17, 18,58 Knoten Speed. Lasse hält den Rekord und ist mit sich zufrieden. Nochmal:18,58 Knoten im Reach unter Genoa. Was für ein Schiff. Noch immer wird jede Welle gegrindert – Schot auf, der laute Ruf „Trimm – (Krach) – Hold“ und das Groß ist wieder dicht. Die „Gärtner-Brothers“ Max und Justus kennen keine Schmerzen. Es wird keine Welle, keine Kabellänge verschenkt. Die Motivation ist nach wie vor unglaublich hoch. Wir haben einen großen Pool an exzellenten Steuerleuten, allen voran Tobi, Achim und auch Cosima macht sich sehr gut, und Trimmern: Moritz, Arne, Josi sind unentwegt am korrigieren. Mit Rickmer und Lasse sind zwei echte Vorschiffsaffen auf höchstem Niveau dabei. Und zwischendrin eine äußerlich ruhige Katrina als Skipperin. Man kann nur ahnen, wie es in Ihrem Inneren aussieht.

 

Wir ziehen das durch. Auch in der Nacht, denn Rennen werden in der Nacht entschieden. Nach etwa zwei Dritteln des Rennens, inzwischen war ein lange zurückliegender Open 50, der im übrigen so schnell sein müßte, wie die Varuna, stark aufgekommen. Auch eine Farr 60 und der Volvo, mit dem wir uns schon eine Weile auf gleicher Höhe segeln verschwinden in der Dunkelheit und fallen immer weiter zurück. Inzwischen haben wir mit dem Codes Zero unsere Tripple-Head-Besegelung oben. Am nächsten Tag haben wir ihnen über 10 Meilen abgenommen. Was für ein Zwischenspurt – uns wird erst später klar, dass alleine diese Nacht zeigt, wie schnell unser Schiff ist und wie gut das seglerische Können bei uns Amateuren aus dem HVS ist. Ich meine, das ist hier echt keine Schlittenfahrt, sondern Hochseesegeln auf Rennmaschinen und höchstem Niveau.

 

Der Endspurt – wir nähern uns der französischen Küste. Die große Sorge, den Strom von bis zu 6 Knoten aus der richtigen Richtung noch zu erreichen, löst sich mit immer mehr Gewissheit auf. Wir werden den Strom als geschenkten Antrieb mit uns erreichen. Marvin ist einfach ein echter Künstler und manchmal braucht man eben die nötige Fortune.

Katrina kommt an Deck und ruft 100 Meilen vor dem Ziel nochmal alle zusammen. Jetzt wird klar, was sie mit Marvin die ganze Zeit in den zurückgezogenen Gesprächen zurückgehalten hat – bewusst, um die Spannkraft der Crew auf hohem Niveau zu halten – was für eine Führungsleistung. „Alle mal herhören, wir sind aktuell nach berechneter Zeit in IRC-0 auf Platz 2, noch vor der Varuna. Varuna ist im Ziel, wir haben 10 Stunden Zeit, um das Ergebnis zu halten. Jedem ist sofort klar, Durchschnittsgeschwindigkeit 10 Knoten.  Das wird schwierig, zumal der Wind langsam nachlässt. Ein Ruck geht durch die Mannschaft. Wieder sitzen alle auf der Kante, die Steuerleute konzentrieren sich noch ein wenig mehr. Unter 11 Knoten Speed ist nicht mehr akzeptabel, aber eigentlich nicht zu halten.

Es läuft gut, sehr gut. Die Spannung an Bord würde für den gesamten Bordstrom reichen. Es ist unglaublich aufregend, unglaublich spannend, … unglaublich schön.

 

Bis 10 Meilen vor dem Ziel läuft es gut, wir haben noch gut zwei Stunden Zeit, der Strom hilft uns, auch wenn er abnimmt. Das wäre nicht weiter schlimm.

Doch dann: Das Horrorszenario. Der Wind schläft ein. 10, 9, 5 und dann nur noch 1,5 Knoten Wind. Das Wasser wird blank, das Schiff immer langsamer.

 

Das ist jetzt nicht wahr, oder? Es wird still an Bord. Die Luft ist zum Zerreißen gespannt. Alle Mann nach Lee, Vorschiffstrimm, der Strom darf nicht abreißen. Jetzt unbedingt Fahrt im Schiff behalten. „Versuch ein wenig vorzuhalten“, gibt Marvin an. Mit ein wenig Glück treibt uns der Reststrom über die Ziellinie. Wir haben Sorge vor dem totalen Stillstand. Im Zweifel müssen wir das Schiff drehen und im Strom halten, und gegen den Strom versuchen, Ruder im Schiff zu behalten und ggf. rückwärts in Ziel, statt vorbei zu treiben.

 

Und dann passiert es – der Wind ist weg, zumindest für die in Lee liegenden Schiffe. Sie stehen und werden nur noch vom Strom getrieben.

Wir haben Glück. Bei uns noch etwas über ein Knoten Wind.

 

Jetzt ist die Zeit für unser Schiff, unsere neue Störtebeker. Jetzt lässt sie uns nicht im Stich und bringt ihre Leichtwindeigenschaften zur Geltung. Ein Hauch von jetzt wieder 2-3 Knoten Wind und die Störtebeker? ….Sie läuft 3 Knoten durch das Wasser. Es ist kaum zu glauben. Zusammen mit dem Strom kommen wir auf fast 6 Knoten dem Ziel näher. Seit Einsetzen der Flaute sind inzwischen 1 ½ Stunden vergangen. Zeit, von der wir kaum gemerkt haben, wie sie vergangen ist. Und der Abstand zur Varuna schmilzt mit jeder Minute, mit jeder Sekunde.

Oh Gott, die Nerven. Jetzt ruhig bleiben, Noch zwei Meilen, noch eine, Katrina steuert hochkonzentriert und der Verzweiflung nahe, auf das Ziel zu. Noch zwei Kabellängen, noch eine und dann die erlösende Sirene. Für Jubel ist kaum noch Kraft. Erschöpft nehmen sich alle in den Arm und gratulieren sich zu dem Erfolg heil und sicher wieder in Cherbourg angekommen zu sein.

 

Es hat gereicht. Wir haben nur 9 ½ Stunden auf die Varuna verloren. So wie es aussieht, sind wir Zweiter nach IRC-0, schnellstes deutsches Schiff, schnellste Amateurcrew, schnellste Jugendcrew und mit ein wenig Glück schnellstes Schiff mit einem Female-Skipper. Es wird wohl ein paar Tage dauern, bis wir diesen Erfolg begreifen. Ein Erfolg, den viele dem HVS nicht zugetraut haben – nach Gotland Runt nun schon das zweite Rennen vor einer Unzahl an Proficrews, ein Erfolg, für den manche Profis über Jahre kämpfen und auf den viele bis heute warten.

Am Ende bleibt – „This is SY Störtebeker – unfortunately this is not an option.“

 

Eure Störtebeker-Crew.